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Unterschiede verstehen

Warum sprechen wir bei Stories that Move von Antisemitismus, Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze sowie antimuslimischem Rassismus? Warum verwenden wir nicht Begriffe wie „Rassismus gegen Jüdinnen*Juden“, „Antiziganismus“ oder „Islamophobie“?

Der Begriff Rassismus wird oft als Sammelbezeichnung für verschiedene Diskriminierungsformen genutzt. Doch um zu verstehen, wie spezifische Formen von Ausgrenzung funktionieren, ist eine präzise Sprache entscheidend. Deshalb unterscheiden wir in unserem Projekt zwischen Antisemitismus, Rassismus, antimuslimischem Rassismus, Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze und der Diskriminierung von LGBTQI+-Personen – und verwenden bewusst diese Begriffe.

Warum Sprache wichtig ist

Die Begriffe, die wir verwenden, helfen dabei, die unterschiedlichen Mechanismen und historischen Hintergründe von Diskriminierung sichtbar zu machen. Zwar teilen viele Formen von Ausgrenzung gemeinsame Merkmale – etwa Stereotypisierung, Abwertung und Ausschluss -, dennoch gibt es wichtige Unterschiede. Diese zu verstehen ist notwendig, um die tief verwurzelten Traditionen des „Othering“ in unseren Gesellschaften zu erkennen und zu hinterfragen.

In unserer interaktiven Online-Toolbox begegnen Lernende verschiedenen Definitionen und Perspektiven zu den genannten Diskriminierungsformen. Sie erfahren, was die Begriffe bedeuten, woher sie stammen und welche Dynamiken dahinterstehen. Dabei orientieren wir uns an den Selbstbezeichnungen der betroffenen Communities.

All verwendeten Begriffe werden in unserem Glossar ausführlich erklärt.

Das Konzept des „Anderen“

Was allen Formen von Diskriminierung gemeinsam ist: Menschen werden aufgrund äußerer Merkmale, ihres Namens, ihrer Herkunft oder einer zugeschriebenen Identität ausgegrenzt. Gruppen wie Jüdinnen*Juden, People of Colour, Muslim*innen, Rom*nja, Sinti*zze oder LGBTQI+-Personen werden oft vermeintlich „homogen“ konstruiert – und genau diese Vorstellung führt zur Ausgrenzung. Diskriminierung basiert nicht auf Fakten, sondern auf Bildern, Vorstellungen und Vorurteilen über „die Anderen“.

Rassismus und Antisemitismus

Antisemitismus wird oftmals als eine Form des Rassismus definiert, in der Jüdinnen*Juden für soziale, wirtschaftliche und politische Probleme verantwortlich gemacht werden. Wie bei anderen Formen von Rassismus wird die erzeugte Zielgruppe als unterlegen dargestellt. Doch anders als bei anderen Formen erzeugt Antisemitismus auch ein Bild von Jüdinnen*Juden als allmächtig. Dieser Gedanke formt die Grundlage von Verschwörungstheorien über Jüdinnen*Juden, die insgeheim die Medien, Banken oder die Welt in ihrer Gesamtheit beeinflussen würden.

Antisemitismus in seiner modernen Form taucht nicht in sozialen Problemen wie Armut oder Arbeitslosigkeit auf. Er erscheint eher in Hassreden und Hassverbrechen, die einen großen Einfluss auf das Leben von vielen Jüdinnen*Juden haben. Die Tatsache, dass die Mehrheitsgesellschaft Antisemitismus nicht als relevantes Problem anerkennt, wird als zusätzliche Gefahr erlebt, und scheint es zum Problem der Opfer zu machen, anstatt als Problem der Gesellschaft als Ganzes.

Die Umkehrung der Schuld

Wenn Sie das Thema Antisemitismus im Klassenraum besprechen, rechnen Sie damit, auf Leugnung zu stoßen. Einige Lernende werden vielleicht seine Relevanz infrage stellen und so etwas sagen wie „Juden werden heutzutage sicher nicht mehr diskriminiert“ oder damit anfangen, „was sich heutzutage in Israel abspielt“. Expert*innen sagen, dass dieses Thema eine komplexe Mischung aus Gefühlen der Schuld, Verteidigung und Überdruss triggert.

Die Umkehrung von Schuld ist ein geläufiges Phänomen, das Opfer von Antisemitismus mit anderen Zielgruppen teilen, die von diskriminierender Sprache betroffen sind: Wenn wir „noch immer“ unter Antisemitismus leiden, muss es einen Grund dafür geben.

Das Verleugnen oder das Herunterspielen der Bedeutung des Holocausts sind geläufige Formen des Antisemitismus. Es ist wichtig, dass das Begreifen vom, das Gedenken an und Lernen über den Holocaust im Lehrplan in ganz Europa verankert bleiben.

Antisemitismus im Verhältnis zu Israel

Kritik an der Politik des Staates Israel oder die Ablehnung des Zionismus wird oftmals mit Antisemitismus in Verbindung gebracht. Es sind besonders sensible und komplizierte Angelegenheiten. Wenn es um die Ansichten von Schüler*innen geht, beachten Sie folgende Punkte:

  1. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina sowie Israel und den Nachbarländern in weiterer Entfernung ist komplex. Viele Menschen, die mit seiner langen Geschichte nicht vertraut sind, meinen zu wissen, bei wem die Schuld für die aktuelle Situation liegt.
  2. Israel als Nationalstaat kann wie jedes andere Land auch kritisiert werden. Manchmal werden in der Kritik jedoch antisemitische Sprache und Symbole verwendet. Israels Existenzrecht anzufechten, kann als antisemitisch betrachtet werden, wenn es darum geht, nur einer Gruppe das Recht abzusprechen, eine Nation zu bilden. Oftmals wir die Regierung Israels eingestuft, härtere Standards zu haben als andere Regierungen.
  3. Die Besatzungspolitik Israels mit dem Holocaust zu vergleichen ist nicht nur extrem beleidigend, sondern auch oft motiviert von anti-jüdischem Gedankengut.
  4. Antisemitismus wird am deutlichsten ausgedrückt, wenn alle Jüdinnen*Juden für die Politik Israels verantwortlich gemacht werden.
  5. Der Antizionismus ist per Definition nicht antisemitisch. Es gibt große Gruppen von Jüdinnen*Juden inner- und außerhalb von Israel, die einen palästinensischen Staat unterstützen, die Teilung Jerusalems und eine Rückkehr zu den Grenzen aus dem Jahr 1967, durch den Austausch von umkämpften Gebieten. Dennoch ist die objektive Diskussion zum Thema Zionismus schwierig in der aktuellen politischen Lage. In der Praxis ist es so, dass sich antizionistische Rhetorik häufig in antisemitische Rhetorik umkehrt.

Rassismus und Antiziganismus

Antiziganismus ist eine andere spezifische Form des Rassismus. Er wird oftmals in einem engeren Sinn verwendet, um Anti-Rom*nija-Einstellungen und negative Stereotype in Hassreden zu signalisieren. Dennoch führt Antiziganismus zu einem viel weiteren Spektrum an diskriminierenden Ausdrücken und Handlungen, einschließlich struktureller Manifestationen, wie die schlechte Qualität des Wohnens und der Bildung, die vielen Rom*nija zugänglich ist. Wie bei anderen Formen des Rassismus ist die Verteilung von Macht und Reichtum ein wichtiger, mitwirkender Faktor.

Was Antiziganismus unterscheidet, ist seine weit gefasste soziale Akzeptanz in Europa. Antiziganistische Einstellungen und Handlungen werden ohne moralisches Stigma auf eine Weise toleriert, wie es bei anderen Formen von Rassismus nicht der Fall ist. Rom*nija zu kritisieren oder diskriminierende Handlungen auszuüben, wird viel zu oft als gerechtfertigt und legitim wahrgenommen.

Wie andere Formen von Rassismus, hat der Ziganismus seinen Ursprung darin, wie die gesellschaftliche Mehrheit diejenigen sieht und behandelt, die diskriminierend als „Zigeuner*innen“ bezeichnet werden. Um gegen Antiziganismus vorzugehen, müssen wir Mehrheitsgesellschaften untersuchen und denjenigen zuhören, die davon betroffen sind, aber normalerweise zum Schweigen gebracht werden.

Erfolge hervorheben

Jede dieser fünf Diskriminierungsarten hat ihre eigene Geschichte, die oftmals Verfolgung und Massenmord einschließt. Diese Toolbox behandelt nicht die ganze Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus, des Nazivölkermordes etc. Aber sie bietet Lernenden die Möglichkeit, sich durch Geschichten von ihren Zeitgenoss*innen und Geschichten aus der Vergangenheit, mit verschiedenen Diskriminierungsarten zu beschäftigen.

Wir erachten es nicht nur als wichtig, die Aberkennung von Rechten und das Leid von denjenigen zu betrachten, die diskriminiert werden, sondern auch die Erfolge von Gruppen und Individuen gegen Diskriminierung herauszustellen.

Es gibt keine einfachen Antworten.

In unserem Diskriminierung begegnen-Modul, wo Diskriminierung analysiert und die verschiedenen Begriffe vorgestellt werden, geht es nicht darum, einfache Antworten und knappe Definitionen zu geben. Wir hoffen, Lernende dazu zu bringen, miteinander in intensiven Austausch und Gedankenprozesse zu kommen, in denen sie Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Erfahrungen von Diskriminierung herausstellen, die Minderheitengruppen erleben.

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